Wenn KI Dich sichtbar macht - Du aber nicht gesehen wirst?

Christien Marie Wach • 6. Mai 2025

Claudia Ludloff, Business-Selfie-Queen und Creatorin des Selfie-Lover-Programms, hat zur Blogparade „Künstlich. Intelligent. Sichtbar. Was bleibt vom echten DU?“ aufgerufen.
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Hier geht’s zum Aufruf der Blogparade
 

Apropos sichtbar – ich hab mir das Thema mal auf meine Art vorgenommen. Ohne KI-Bild, ohne Avatar, aber mit Haltung.


Wenn KI Dein Selfie übernimmt, Stimme und Wort ersetzt - Was bleibt dann von Dir?

Nein, ich habe kein KI-generiertes Bild von mir. Nicht, weil ich zu retro bin oder die Technik nicht kenne. Sondern weil ich bewusst Nein danke sage. Meine Selfies sind manchmal unscharf, das Licht ist mies und die Haare stehen in alle Richtungen ab. Meine Haut zeigt das, was sie nun mal ist: Haut.

Und wisst Ihr was? Ich zeige mich trotzdem. Weil ich in Zeiten von Filtern, Avataren und mach dich sichtbar-Mantras das Gefühl habe, dass genau das heute radikal ist. In einer Zeit, in der selbst die Filter ein Facelifting bräuchten, ist das schon ein Akt der Rebellion.


Sichtbarkeit im KI-Zeitalter - oder: Die glatte Lüge

Alle reden von Sichtbarkeit. Von Personal Branding. Von der Marke Ich.

Und dann lassen sie sich von der KI ein Bild basteln, das aussieht wie ein weichgezeichneter Hybrid aus Heidi Klum und einem Manga-Avatar.

Es wird unter dem #Selflove gepostet und gleichzeitig ein Bild hochgeladen, das mit genug Filtern bearbeitet worden ist, um auch einen Toaster charismatisch wirken zu lassen.


Mal ehrlich: Was soll daran sichtbar sein? Das ist keine Nähe, das ist Hochglanz-Alienisierung.


»Was wahr erscheint, ist oft nur Schein. Illusion verbirgt, was könnte sein.«

© aus meinem Buch Hashtag Happily Ever After - Drag & Drop ins Märchenland


Dieser Satz aus meinem aktuellen Buch beschreibt, worum es hier wirklich geht. Sichtbarkeit ist nicht gleichbedeutend mit gesehen werden.

Und das digitale Schönheitsideal, ob KI-optimiert oder selbst gefiltert, macht aus Menschen Projektionsflächen. Keine Persönlichkeiten.

Was nützt Sichtbarkeit, wenn Du hinter der Hochglanzfassade selbst nicht mehr vorkommst? Die Wahrheit ist: KI macht nicht sichtbar - sie macht ansehnlich. Und das ist ein gewaltiger Unterschied.


Der Social-Media-Zirkus im Märchenkleid

Im Buch »Hashtag Happily Ever After - Drag & Drop ins Märchenland« leben Viralia, Cinderella & Co. nur noch in ihrer digitalen Welt. Sie konkurrieren um Likes, posten aus durchgestylten Märchenschlössern, folgen sich gegenseitig - aber begegnen sich nie wirklich. Bis Frederik von Quakenstein auftaucht. Ein sprechender Frosch on a Mission. Er hält der Social-Media-Queen Viralia den Spiegel vors Gesicht. Nicht den glatten, sondern den ehrlichen.


Handy, Handy in der Hand - wer hat das viralste Profil im ganzen Land? - das neue Märchenmantra


Und genau da setzen die Fragen an: Was ist wirklich echt? Wie viel Bedeutung haben digitale Erfolge wirklich?


Die Sache mit der Grenze: Optimierung oder Täuschung?

Natürlich darf ich ein Foto aufhellen, den Kontrast justieren, das Gesicht mal aus einem vorteilhaften Winkel erwischen. Aber wenn meine Augen funkeln, als hätte ich ein Strahlenunfall mit Glitzer gehabt, der sämtliche Geigerzähler nervös macht und meine Haut weder Makel noch Mimik kennt - dann habe ich nicht mehr optimiert, sondern mich ausradiert.


Da verläuft für mich eine Grenze: Wenn ich mich auf den Bildern nicht mehr wiedererkenne. Wenn ich weiß: Das bin nicht mehr ich, sondern eine digitale Illusion, die meine Spuren gelöscht hat. Wenn es wenigstens ästhetisch wäre. Ist es aber nicht. Stattdessen sieht es aus wie ein Spachtelunfall mit Instagram-Filter: drübergezogen, drübergetönt. Und drunter? Keine Ahnung.


Wenn nicht nur Dein Gesicht, sondern auch Stimme und Sprache verschwindet

Ich bin Biografin, Autorin, Texterin und gebe Menschen schriftlich Stimme.

Vor allem weiß ich, wieviel Mut es braucht, sich in Sprache zu zeigen. Mit all den Brüchen, Zweifeln, Auslassungen. Und dann kommt diese nette, praktische, effiziente KI und schreibt auch noch für uns. Schnell, oberflächlich und leider trifft sie oft den Nagel nicht auf den Kopf.

Weil sie nicht fühlt. Nicht zögert, keine Geschichte hat.

Und wenn alle anfangen, lieber ChatGPT für sich schreiben zu lassen, dann frage ich mich: Wo bleibst Du dann noch, wenn Du selbst verstummst - nur um "sichtbar" zu sein/zu bleiben? Wenn alles zu glatt klingt, perfekt funktioniert und effizient auf Keywords ... Verzeihung Buzzwords ... getrimmt ist - wo bleibt der kreative Prozess, das Persönliche, Fühl- und Spürbare?


Was bleibt vom echten DU, wenn Algorithmen entscheiden, was schön ist?

Ich bin 60 Jahre alt, habe Fältchen. Manchmal Augenringe, ein müdes Lächeln. Aber immer Ausdruck. Ich bin eben ich.

Wenn ein Algorithmus entscheidet, was als "schön" gilt - was passiert mit den Gesichtern, die von Leben erzählen und nicht von Perfektion?

Was passiert, wenn KI plötzlich vorgibt, wie wir aussehen sollen und die Industrie uns genau dafür Tools anbietet? Wenn Optimierung zum Geschäftsmodell wird und Unsicherheit zur Verkaufsstrategie? Muss ich mich erst schönrechnen lassen, um als wertvoll zu gelten? Oder darf ich einfach Mensch sein und genau so gesehen werden?


Der innere Konflikt: Die Versuchung, perfekt zu posten

Klar kenne ich das. Diese Versuchung, das bessere Bild zu nehmen. Den weicheren Filter. Das Selfie mit dem guten Licht und dem vorteilhafteren Lächeln. Aber ich kenne auch das Gefühl, wenn jemand auf ein echtes Bild von mir reagiert mit: »So schönes Bild von Dir.« Und zwar auf eines, von dem ich gedacht habe wtf ... boah nee, geht gar nicht.


Und genau das ist der Unterschied: Perfektion mag zwar kurzfristig Bewunderung erzeugen. Echtheit aber schafft Verbindung.


Was brauchen meine Klientinnen und Klienten: Perfektion oder Verbindung?

Was passiert, wenn Dein KI-Selfie Dich überholt? Wenn Du ein perfektes KI-Selfie postest und dann einem Menschen in echt begegnest?

Diese Menschen haben ein Bild im Kopf. Glatt, verfiltert, weichgezeichnet. Und dann kommst Du zur Türe rein. Mit echten grauen Strähnen im Haar, echten Lachfältchen und echtem Leben im Gesicht.


Genau - da entsteht eine Diskrepanz, die Du nicht wegverfiltern kannst.


Nicht, weil Du nicht schön wärst. Sondern weil Du nicht dem Bild entsprichst, das Du von Dir gezeichnet hast. Das macht was mit der Verbindung. Es kratzt am Vertrauen. Weil Sichtbarkeit auch bedeutet, respektive bedeuten sollte: Was ich zeige, bin ich wirklich.


Ich arbeite mit Worten und helfe Menschen, sich auszudrücken. Und zwar so, wie sie wirklich sind - nicht wie sie es gerne hätten.

Wenn meine Klientinnen und Klienten nur Porenfreies bis zur Persönlichkeitsverleugnung, klinisch rein aber emotional Leeres, bis zur Unendlichkeit Glanzpoliertes suchen, bin ich definitiv die Falsche. Wenn sie wirklich gesehen, gehört, verstanden werden wollen - dann finden wir zusammen.


Meine Klientinnen und Klienten suchen keine Avatar-Version ihrer selbst. Sie suchen Worte, die zu ihnen passen. Eine Stimme, die spiegelt und nicht ersetzt. Wenn alles nur noch schön ist, verlieren wir das, was berührt. Echtheit kratzt manchmal. Aber genau deshalb geht sie unter die Haut.


Mit, gegen oder gemeinsam mit KI?

Nein, ich bin nicht gegen KI. Ich nutze KI. Manchmal. Zum Recherchieren, zum Sortieren. Es geht schneller, klar.


Aber ich stehe nicht für Gleichförmigkeit und Gleichgültigkeit. Ich stehe nicht für die Vorstellung, dass Begegnung durch Funktion ersetzt werden kann. Oder dass echtes Miteinander durch cleveres Management ersetzt werden soll. Ich glaube nicht daran, dass reibungslose Kommunikation ein echtes Gespräch ersetzt. Oder dass Tiefe ein Hindernis ist, das man wegrationalisieren sollte. Ich stehe nicht für Systeme, in denen Nähe als Zeitverschwendung gilt – und Effizienz zum höchsten Gut erklärt wird. Und ich glaube nicht, dass Schnelligkeit wichtiger ist als echte Verbindung.


Sprache lebt vom Menschsein. Wir leben vom Menschsein. Vom Ausdruck, vom Echo, von echter Verbindung.  KI kann sortieren. Aber nicht spüren. Sie kann strukturieren. Aber nicht erzählen.  Autorinnen & Autoren, Sprechende aller Art – wir sind nicht ersetzbar.  Denn was berührt, braucht keine Effizienz. Sondern Haltung. Und vor allem Herz.






Wenn dich das Thema berührt hat – mein aktuelles Buch »Hashtag Happily Ever After« geht noch ein paar Schichten tiefer. Zwischen Selfies, Sehnsucht und Selbsterkenntnis. Ein Märchen der digitalen Gegenwart.


Ab in den Froschteich